23. Juni 2007

Ein Auszug aus dem Buch "Homerun, Pat!" von Hannah P. Sörtensen

...

Noch völlig verschlafen schaue ich aus dem Fenster. Ich glaube, ich mach mir jetzt lieber erst mal einen schönen starken Kaffee, ansonsten überlebe ich diesen Tag nicht.
Der Abend gestern war echt die Härte. Viel zu laut, viel zu stickig, es wurde viel zu viel Müll gelabert. Ich werde nie wieder mit in diese Bar gehen, so viel ist sicher. Schon gar nicht mit Fabi und ihrem Gucci-Club.
Ich mag Fabi wirklich sehr, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass wir nicht auf einer Wellenlänge sind. „Deine Schwesterfreundin“ – So hat sie auf der letzten Geburtstagskarte unterschrieben. Schon klar. Dann benimm dich auch so, Ziege! Sie sollte sich vielleicht nicht immer die Typen anlachen, die ich toll finde. Aber was ist, wenn die Typen sie zuerst anlachen? Die einzigen Typen, die mich in den letzten Wochen angelacht haben, sind der Autowaschanlagenbediener und der Kellner von meinem Lieblinscafé an der Lohengrinstraße Ecke Siebaldshof. Der hübsche Kellner hat auch nur so hübsch mit seinem hübschen Mund gelächelt, weil ich mich hübsch mit dem Trinkgeld vertan habe. Ich habe es mir nicht anmerken lassen und tat einfach mal spendabel, als wenn ich es hätte.
Genauso wie gestern Abend. Dumme Sprüche, kein geistreiches Gespräch, keine vernünftigen Leute. Es ging die ganze Zeit und Mode, Autos oder Affairen. „Tom hat mit Manu, obwohl er mit Ela zusammen ist...Ich bin jetzt mit meinem ehemaligen Dozenten zusammen...Ich war jetzt in dem neuen Nagelstudio am Bahnhof..."
Ich habe mir meine schlechte Laune auch nicht anmerken lassen. Es hat echt keiner was gemerkt. Entweder sind die zu blöd gewesen oder ich habe sehr gut geschauspielert. Ich könnte Schauspielerin werden. Das ist es!! Immer jemand anderes sein, nur nicht ich. Heute Snob, morgen Küchenhilfe und übermorgen ein Baum im Stadtpark. Die Rolle der Trauerweide im Park würde mir gerade am besten passen. Einfach nur da stehen, fest verwurzelt. Man wird bestaunt, weil man so groß und alt ist. Ich stehe den ganzen Tag am Wasser und kann machen, was ich will oder auch nicht!? - An ein und der selben Stelle stehen, immer die selbe Perspektive haben; darauf warten, dass mir die nächste Taube ihr Stoffwechselendprodukt da lässt, darauf warten, dass mich der Hund düngt oder dass ein Pärchen einen Liebeseid mit einem stumpfen Messer in meine Rinde ritzt "Thomas + Marleen = endless love". Bei meinem Glück kommt auch noch ein übermotivierter und von sich überzeugter Ordnungslümmel vorbei und fragt:
"Was machen sie da? Zeigen sie mal ihren Personalausweis vor! Wie ist ihr Name?“
„Baaauuuum!“
"Klasse! Laufen sie immer so rum oder was soll das hier werden?"
"Nee, ich bin Schauspielerin. Die Trauerweide ist meine Rolle in der neuen Seifenoper "Gute Bäume, schlechte Bäume", die nächstes Jahr rauskommen wird."
Ich bleibe erst mal ich selber. Gehe vielleicht noch mal mit Fabi und dem Gucci-Club ins Wongo's five. Ich weiß es nicht. Seit gestern hab ich eigentlich keine Lust mehr irgendetwas zu machen. Nicht meine Welt.

Nach meinem Kaffee gehe ich duschen und schlüpfe anschließend in meine viel zu große Jogginghose und in ein Shirt, welches mir auf dem Weg vom Badezimmer ins Schlafzimmer in die Hände gerät. Passt farblich nicht. Mir egal.
Ich habe vor mal eben zum 24h-Kiosk schräg gegenüber zu gehen und mir Frühstück zu holen. Ich öffne die Korridortür einen Spalt und lausche, ob jemand gerade die Post holt oder ob Frau Hagenbürst-Kaminski (Frau von Herrn Kaminski, unserem Hausmeister) schon die Flurfenster putzt. Treppen müssen wir Mieter nämlich selber machen.
Das einzige was ich im Flur höre, ist der viel zu laut gestellte Fernseher hinter der gegenüberliegenden Tür. Hinter der Tür mit dem bunten Plastikblumenkranz wohnt Frau Mückldorf, die Gute hört schlecht. Sie stellt die Flimmerkiste immer so laut, dass man am 24h-Kiosk beim Kaffee-oder-Tee-Quiz mitraten könnte.
Ich schleiche aus meiner Wohnung, in der Hoffnung, dass mir keiner begegnet und mich darauf aufmerksam macht, dass ich den Flur noch nicht gefegt habe.
„Frau Baaauuuum, sie ham den Flur noch nich’ gefeeecht. Seh’n se denn nich’, wie dreckich es hier is'?“ Nö. Ich habe andere Sorgen. Im Moment zum Beispiel mein Frühstück.
Gut, dass ich nicht Baum heiße. Hört sich echt dumm an!
Ich habe die Haustür erreicht und mache sie etwas auf. Ziemlich diesig heute. Nebel und Nieselregen. Von der Stille in meiner Wohnung ist nichts mehr übrig.
Zwei junge Mütter gehen an der Tür vorbei und unterhalten sich über das Stillen ihrer Kleinen.
„Nee, also der Max Leon, der kann ja essen. Meine Güte...Nach dem Stillen bin ICH erst mal völlig fertig und muss ein Schläfchen machen...“
„Ach was? Echt? Bei uns ist das umgekehrt. Die Celine schläft schon während des Essens ein. Ich hab echt Angst, dass die eines Tages noch verhungert...“ Gegacker.
Autolärm.
Eine Frau aus dem 2. Stock gegenüber, hängt im Fenster und krächzt ihrem Mann Worte wie „Kneipe“ „Saufen“ „die Kinder“ und „Scheiden“ hinterher.
Ich höre die Düsen eines Flugzeugs am Himmel und das Martinshorn vielleicht drei Ecken weiter.
Geklacker von Pumps und das Knirschen der kleinen Steinchen bei jedem Auftreten.
Musik von einem Handy. Ein Anruf. Der Typ, dem das Handy gehört, bleibt fast vor meiner Tür stehen und spricht so laut, als wolle er, dass jeder mitbekommt, dass er gleich seinen 3er verscheuert und sich 'ne dickere Karre holt oder was auch immer.
"Die angerufene Person ist gerade nicht zu erreichen. Bitte versuchen sie es später noch einmal. Bei Frau Patricia Ritter brauchen sie es heute allerdings nicht mehr versuchen. Wir bitten sie dies einfach mal so hinzunehmen. Danke für ihr Verständnis."
Vogelgezwitscher. Selbst das empfinde ich gerade als Bedrohung.
Die ganze Welt ist eine Bedrohung. Die Leute, die auf ihr leben, auch. Ich bin auf einmal ziemlich wütend auf das, was da draußen lauert. Ich weiß nicht genau warum. Ich hab gerade einfach keine Lust den Dingen da draußen zu begegnen. Mir hat der Streifen eben gereicht. Ich beschließe, dass ich heute gut auf meine Kiosk-Cornflakes verzichten kann. Ich knalle die Tür zu und höre mir von Herrn Kaminski eine Moralpredigt an.
„...Türen...schwall...knallen...blablabla...Frau Mückldorf schon alt...aus’m Bett gefallen...blabla...endlich fegen...sülz...“
Ich gucke ihn schief an und frage „Un’ was is’ mit Cornflakes?“, dann gehe ich mit der bedrohlichen Post, die mir die bedrohliche Welt geschickt hat, gelangweilt die Treppen hoch und beachte ihn nicht weiter.
Oha, das fand er nicht so toll. So habe ich diesen Giftzwerg noch nie erlebt. Was hat der denn auf einmal? Nur weil ihn die olle Schachtel Mückldorf mal nicht rangelassen hat?? Bei dem Gedanken muss ich laut anfangen zu lachen. Ich krieg’ mich nicht mehr ein und muss mich erst mal an meinem Türrahmen festhalten. Von unten hört man immer noch ein Gebrüll, wie es der zornigste Aktienboss nicht hinbekommen hätte. Dabei fällt mir auf, dass sein Gebrüll viel lauter ist und viel länger anhält, als meine zugeknallte Tür. Der Typ ist verwirrt, glaube ich.

Ich schließe meine Wohnungstür auf, schmeiße die neuen bedrohlichen Briefe auf den meinen Stapel „bedrohliche Briefe von der bedrohlichen Welt“. Ich sollte mich morgen mal hinsetzten und diese Kotzpost öffnen. Vielleicht ist ja auch ein lieber Brief dabei. Von meiner Oma aus dem Schwarzwald oder so. Vermutlich nicht.
Ich schaue noch mal aus dem Fenster. Dunkel und dreckig ist es gerade da draußen.
Ich bleibe heute zu Hause und verschlafe den ganzen Tag – ich flüchte quasi. Ich mache den Fernseher an und zappe mich durch das Programm. Heute kommt wieder nix - Talkshows, Gerichtssendungen, Pferd TV, Hund-Katze-Maus, schlechte Heimatfilme usw. Ich lasse einen Western aus dem Jahre 1943 laufen und schlafe dabei ein...
[...]
So verworren, wie alles um mich rum, sind sogar meine Träume. [...] Ich selbst! Jetzt ist es soweit. Ich bin auch verworren. Bin ich das wirklich? Ich hab es geschafft. Ich habe mich von der Welt mental dahinraffen lassen. GLÜCKWUNSCH NOCHMAL!

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