Sie läuft wild gestikulierend durch die Wohnung. Sie schreit und weint im Wechsel. 
Er lehnt an der Sofarücklehne an und stützt sich mit den Armen ab. Er hört ihr zu. 
Zwischendurch bleibt sie sehr nah vor ihm stehen und schaut ihm direkt in die Augen. Der liebevolle Blick quält sie. Wieder kommen ihr Tränen und sie muss flüchten, aber erstmal nicht so weit weg. Vielleicht erklärt er ihr gleich, warum er das alles mitmacht. 
Sie geht zum Fenster und schaut einem 40t-er hinterher. Es geht ein älterer Herr mit seinem Hund spazieren und hebt den Hut, als er eine alte Dame auf der Parkbank sitzen sieht. 
Was sie da draußen sieht, wühlt sie noch mehr auf, bleibt aber dennoch am Fenster mit verschränkten Armen stehen und schaut weiterhin raus. 
Sie versucht ihre Gedanken zu ordnen, was nicht ganz einfach ist. 
Sie liebt ihn, sehr sogar. Er ist sehr aufmerksam und selbstlos. Sie vertraut ihm voll und ganz. Es würde nicht mal eine Notlüge über seine Lippen kommen. Sie lachen und weinen zusammen. Eigentlich kann sie sich glücklich schätzen, so jemanden gefunden zu haben. Ich bin doch glücklich! Sie kann sich dennoch nicht erklären, warum sie ihm, bildlich gesehen, eine Ohrfeige nach der anderen verpasst hat. Aber er bleibt weiterhin bei ihr - ohne wenn und aber. Das kann doch nicht sein! 
Sie dreht sich zu ihm um, die Arme immernoch verschränkt und schaut ihm in die Augen. Mit ihren Fingern zählt sie auf:
„Ich habe dir oft nicht richtig zugehört, habe die Beziehung verleugnet, habe dich belogen, habe Versprechen nicht einhalten können, ich habe mich oft tagelang nicht gemeldet, leiste mir einen Hammer nach dem nächsten. Und was tust du? Du nimmst mich in den Arm und sagst: Ist schon ok, das kriegen wir hin. Jeder andere würde so jemanden wie mich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel und du?? Du lädst mich noch zum Essen ein…“
Sie muss wieder weinen. Schluchzend holt sie ein Paket Taschentücher aus der Küche und kommt wieder. Sie steht vor ihm und hofft so sehr, dass er was dazu sagt. 
Er schaut sie eine Weile an. „Aber du lernst aus deinen Fehlern, meinst du nicht? Ich…“ „Ja doch, und?? Ich mache immer wieder Fehler! Ohne mich hättest du es leichter…“, schnitt sie ihm das Wort ab. 
Sie hält das Taschentuch vor ihr Gesicht, um damit die Tränen aufzufangen und um so irgendwie seinem Blick auszuweichen. Sie sieht nichts, alles ist schwarz. Sie fühlt nichts und denkt nichts. Sie ist leer. Das einzige, was sie spürt, ist sein Blick. 
Er nimmt sie plötzlich fest in den Arm und flüstert ihr mit einem Lächeln ins Ohr: „Ich wurde verspottet und ausgelacht. Man hat mir nicht geglaubt und mich ausgepeitscht. Ich wurde fast bis zur Bewusstlosigkeit gefoltert und am Ende an ein Holzkreuz genagelt. Das habe ich für dich auf mich genommen, weil ich dich so sehr liebe! Und ich werde dich nie verlassen. Hörst du? Nie!“
 
2 Kommentare:
yes. liebenlassen will geübt und praktiziert werden. *drück*
sehr richtig h.! genau!!
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